Unterschiedliche Beinlängen - na und?

Unterschiedliche Beinlängen - na und?
Die Wissenschaftler, die sich mit Rückenschmerzen beschäftigen, sind sich einig, dass sich in der Mehrheit der Fälle die Ursache nicht feststellen lässt - selbst unter Ausnutzung fortgeschrittenster High-Tech Magie [z.B. Deyo 2001]. Aber das kann der normale Orthopäde in der alltäglichen Praxis weder gegenüber der Krankenkasse noch gegenüber dem Patienten vertreten. “Leider weiß ich nicht, was die Ursache Ihrer Rückenschmerzen ist” wäre zwar oft ehrlich, würde aber meist nicht so gut ankommen. Deshalb muss er oft notgedrungen zu Verlegenheitsdiagnosen greifen. Und eine der beliebtesten Verlegenheitsdiagnosen ist “unterschiedliche Beinlänge”.
Das kann verheerende Konsequenzen für den Patienten haben. Im besten Fall wird er fatalistisch, denn was kann er schon gegen verschieden lange Beine unternehmen? Im schlechteren Fall bekommt er eine Operation oder eine erhöhten Schuhabsatz. Oft bewegt er sich bewusst oder unbewusst weniger oder kontrollierter, um seine unterschiedlichen Problem-Beine zu schonen. Auf lange Sicht werden die Rückenschmerzen davon vielleicht sogar schlimmer.
Dabei reicht ein bisschen gesunder Menschenverstand, um über eine Beinlängenunterschieds-Diagnose einfach nur zu lachen. (Obwohl es auch ausnahmsweise Sinn machen kann.)
Erstens bedeutet Unsymmetrie überhaupt nicht, dass irgendwo besondere Belastungen auftreten. Man kann z.B. ein Kartenhaus vollkommen kräftefrei auch aus Pappkarten bauen, die eine unterschiedliche Größe haben (Bild unten).
Zweitens hat jeder Mensch, der sich irgendwie fortbewegt (geht, rennt, krabbelt, Fahrrad fährt, skated), zu jedem beliebigen Zeitpunkt zwei Beine, die etwas vollkommen unterschiedliches machen. Selbst beim Stehen wechselt man (wie beim Gehen) ständig das Standbein und das Spielbein. Unsymmetrie ist der Normalfall.
Und beim Sitzen und Liegen spielt die Beinlänge - egal ob symmetrisch oder unsymmetrisch - schon gar keine Rolle.
Meistens wäre die Diagnose: "Sie bewegen sich falsch!" erstens richtiger, zweitens gäbe sie dem Patienten eine Chance, selbst etwas gegen die Rückenschmerzen zu tun und drittens wären die Kassenkosten niedriger.
* Deyo R.A. & Weinstein J.N. (2001). Low back pain. N Engl J Med. 2001, 344(5), 363-370.
* Schwartz, F. W. et al.(2000). Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen. Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit. Gutachten. Band III, Seite 26, Dokumentations- und Informationssystem des Deutschen Bundestages, Vorgang 14001689









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