Vorsicht, Yoga!

Vorsicht, Yoga!

(unten gibt es praktische Hinweise )
Ich sehe zunehmend häufiger Leute in meiner Praxis, die sich offensichtlich im Laufe der Zeit mit #Yoga Übungen verletzt haben. Diese Beobachtung passt zu einem Artikel in der New York Times mit dem Titel “How Yoga Can Wreck Your Body” (ungefähr: “Wie Yoga Sie kaputt machen kann” - link [1]). Nach Erscheinen dieses Artikels brach ein ungewöhnlich heftiger Proteststurm los. Was geht hier vor?

Meiner Meinung nach war die NYT einseitig negativ. Aber das war vielleicht eine Reaktion auf die oft viel zu positiven Yoga-Bücher und Yoga-Lehrer, die nur selten vor den Risiken warnen. Leider ist für viele Leute Yoga so heilig wie ein Splitter vom Kreuze des Erlösers und die Kritik der NYT hat wie ein ketzerischer Tabu-Bruch gewirkt. Eine einseitig positive Haltung ist unkritisch und bequem, denn man muss sich nicht die Mühe machen kritisch mitzudenken. Deshalb rät die NYT ganz vom Yoga ab, weil sie den Yogis so etwas schwieriges wie mitdenken nicht zutraut: “Yoga is for people in good physical condition. Or it can be used therapeutically. .. it really shouldn’t be used for a general class.”
Im Gegensatz dazu versuche ich meine Klienten in Diskussionen darüber zu verwickeln, ob vielleicht manche ihrer Schmerzen durch bestimmte Übungen im Yoga verursacht sein könnten. Viele Leute sind ziemlich verdutzt über die Entdeckung, dass es nicht reicht, seinem Körper ein bisschen mehr Raum und Weite zu verschaffen, sondern dass auch das Wissen über den Körper etwas davon braucht.
Auf jeden Fall sollten Sie hinterfragen, was Sie da eigentlich machen, wenn es anfängt, irgendwo weh zu tun !!! Es ist vielleicht auch günstig, sich einen Lehrer zu suchen, der nicht alle Teilnehmer über einen Kamm schert, sondern jeden Yogi jeweils individuell nach seiner eigenen Körperstruktur berät. Am wichtigsten aber ist, dass Sie sich jeden Dehnungs-Ehrgeiz verkneifen! Dehnungs-Ehrgeiz ist die Hauptursache für Verletzungen und ist definitiv Anti-Yoga (im traditionell-indischen Sinne).
Dazu gibt es eine hübsche Anekdote: Eines Tages kam Ida Rolf (die Erfinderin des sog. Rolfing) nach dem Mittagessen in den Unterrichtsraum. Dort war eine Yoga-Lehrerin noch damit beschäftigt, die Rückseite ihrer Oberschenkel zu dehnen. Ida Rolf guckt sich das eine Weile an und sagt dann zu der Frau: “Ehrgeiz verkürzt die Hamstrings!”.
Bescheidenheit und Präzision ist besonders wichtig, falls Sie eine Bindegewebs-Schwäche haben (im allgemeinen überbeweglich sind). Oft sitzen die Frauen mit weichem Bindegewebe in der ersten Reihe, weil sie am schnellsten die größten Erfolge haben. Nur wissen sie nicht, wie sehr sie sich eigentlich schaden.

Theoretischer Hintergrund:
Erstens: Immer, wenn sich ein menschlicher Körper bewegen will, steht er mit seiner Struktur vor einem schwierigen Dilemma. Einerseits muss er maximal stabil sein. Andererseits muss er maximal flexibel sein. Das ist ein schwer zu versöhnender Gegensatz und der Körper trifft nicht immer den optimalen Kompromiss. Regelmäßiges Dehnen kann helfen, die Flexibilität zu erhöhen, aber hirnloses Dehnen kann der Stabilität so sehr schaden, dass handfeste Schmerzen die Folge sind.
Zweitens: Immer, wenn Sie irgendetwas an einer Körper-Außenseite dehnen, stauchen Sie unweigerlich etwas in Ihrer Körpermitte oder an der gegenüberliegenden Seite. (Das gilt nicht, wenn jemand anderes Sie auseinander zieht oder Sie sich von Ihrem Gewicht auseinander ziehen lassen.) Meistens ist die Stauchungskraft innen ein Vielfaches der Dehnungskraft außen (weil Sie irgendeinen Knochen als Hebel benutzen). Beispiel: Wenn Sie die Hamstrings (Rückseite der Oberschenkel) dehnen, dann nehmen Sie das Knorpelgewebe des Hüftgelenkes so in die Zange, als ob der Oberschenkel-Knochen und der Becken-Knochen einen Nussknacker bilden und das Hüftgelenk die Nuss stellen würde.
Drittens: Das moderne euramerikanischen Yoga hat absolut nichts mehr mit dem traditionellen indischen Yoga zu tun. Das traditionelle Yoga war eine allumfassende Lebensweise, zu der es zum Beispiel auch gehörte, den Lauf der Sterne zu beobachten und den Armen Geld zu spenden. Nur zu einem kleinen Teil des Yoga, dem sog. Hatha Yoga, gehörte das, was wir heute als Yoga-Übungen bezeichnen. Das Ziel des Hatha Yogas war es vor allem, zur Ruhe zu kommen, oft als Vorbereitung zur Meditation. Dehnungserfolge gehörten nicht dazu. Im Gegensatz dazu ist das westliche Zivilisationskrüppel-Yoga ein Milliarden-Dollar-Geschäft geworden. Zitat: “When there is a great potential for making money, quality is usually the first thing to be sacrificed. (Yoga) has been reduced from a practice that traditionally demanded dedication, discipline, sacrifice, humility, surrender, love, devotion, and self-investigation — and yes, suffering through rigorous practice — to something that one can now learn to teach in a weekend. … Yoga has been McDona-fied but it comes with none of the stringent health standards and food safety rules that govern McDonalds burgers.” (Huffington Post, link [3])
Dazu passt der Unterschied zwischen traditionellem indischem Yoga und dem modernen West-Yoga, den ich so ausdrücken würde: das moderne West-Yoga ist oft vergiftet von den westlichen Untugenden Ehrgeiz und Konkurrenz (siehe link [4])
Viertens: Das Hatha Yoga hat sich in einer starren Kastengesellschaft entwickelt. Der Lotussitz z.B. war eher gedacht für die hohe Kaste der Brahmanen, die nicht körperlich arbeiten mussten und nicht für die niederen Shudras, die ihre Kniee noch brauchten, z.B. um auf dem Feld oder im Handwerk zu arbeiten.

Trotz allem hat Yoga ein großes Potential, Sie gesünder, ruhiger und lebendiger zu machen. Aber Sie müssen mitdenken. Wenn Sie es falsch machen, dann kann es Sie auch kaputt machen. Erfahrungsgemäß reicht es nicht, wenn der/die Yoga-Lehrer/in sagt: “Jeder wie er/sie es kann.”


Meine praktische Vorschläge für das Mitdenken:
+ Vergleichen Sie sich niemals! Beispiel: “Mein Nachbar kommt viel weiter runter als ich :-( “
+ Was am übernächsten Tag noch weh tut, das nicht mehr dehnen!
+ Im Zweifelsfall hören Sie lieber auf ihren Körper als auf die Autorität des Yoga-Lehrers!
+ Es ist ein gutes Zeichen, wenn Sie nicht alle Übungen gedankenlos mitmachen, sondern manchmal aussetzen oder etwas anderes machen.
+ Wenn Sie zu Hause üben, legen Sie ein Anatomiebuch neben sich! Denken Sie immer mit: Was dehne ich? Was stauche ich?
+ Als Daumenregel: Muskeln, Sehnen, Faszien bitte gern, aber Bänder in Gelenknähe lieber nicht dehnen! Flexiblere Gelenkbänder sind selten vorteilhaft, meist erhöhen Sie den Verschleiß im Gelenk.
+ Insbesondere nicht im Kniegelenk rotieren (Ober- und Unterschenkel gegeneinander verdrehen) !
+ Insbesondere nicht den unteren Rücken zusammenstauchen (Oberkörper zu weit nach hinten beugen) ! Ausgeleierte Bandscheiben sind niemals vorteilhaft.
+ Vorsicht beim Kopfstand (Halswirbelsäule, Blutdruck im Kopf) !

Links
[1] http://www.nytimes.com/2012/01/08/magazine/how-yoga-can-wreck-your-body.html
[2] http://www.theguardian.com/lifeandstyle/2012/jan/14/yoga-can-damage-body-row
[3] http://www.huffingtonpost.com/sandip-roy/yoga-william-broad_b_1210850.html
[4] http://www.nytimes.com/roomfordebate/2012/01/12/is-yoga-for-narcissists/when-high-achievers-do-yoga






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